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Das Karatedo „Flat“-rate seminar oder Von Japan in die österreichischen Wohnzimmer und wieder zurück.

verfasst am 22.01.2021 von Ingrid Adler

Isolation ist man ja mittlerweile schon gewohnt und auch, wie man alleine vor der Kamera trainiert. Mikrofon ausschalten nicht vergessen und gegebenfalls Katzen, Familienmitglieder und/oder Mitbewohner*innen aus dem umfunktionierten Trainingsraum verbannen.

So fing also auch am Samstagmorgen, den 16.1.2021 das erste SKIAF Verbandstraining 2021 mit dem japanischen Gasttrainer Fumitoshi Kanazawa sensei an. Mit der Kaffeetasse in der linken und der Fernbedienung in der rechten Hand wärmte ich mich um zehn vor 9 auf. Doch das japanische Morgen-Programm mit Fumitoshi Kanazawa sensei schüttelte jegliche Müdigkeit ab und mein Wohnhaus einmal kräftig durch.

Zwischen Stühlen, Zimmerpflanzen und einem eingerollten Teppich verwandelte sich der Home-Office-Corona-Sicherheitstrakt in (m)eine Trainingshalle. Seit März 2020 sehen wir den Großteil der Karatedo-Familie nur mehr über den Bildschirm. Die Meinungen zu den Corona-Maßnahmen und zu dem „richtigen Umgang“ mit dem Virus gehen sehr auseinander. Was die Meinung zum Training betrifft, aber nicht. Der Trainingsgeist ist auch nach fast einem Jahr eingeschränkten Trainingsbedingungen bei dem Großteil der Verbandsmitglieder nicht erloschen. Die Vor- und Nachteile liegen klar auf der Hand, aber das gemeinsame Ziel Karatedo zu trainieren steht über alldem. Unser ehemaliger Bundestrainer Kawasoe shihan hätte dies wahrscheinlich mit den einfachen Worten „Sooo so sooo“ unterstrichen.

Wir starteten mit ein paar „einfachen“ Tsukis (Anm. Fauststoß), Soto-Ukes und Age-Ukes (Anm. Blocktechniken) im Stand. Schnell wurde einem selber bewusst, wieviel Power man in eine Technik reinstecken kann. (Dies lässt sich sehr leicht anhand der Erdbeben-Boden-Vibrationsskala feststellen bzw. an den kläglichen Lauten der unteren Nachbarn.)

Die vermeintlich „alte Leier“ die Achse zu behalten, sich nicht auf und ab zu bewegen, sondern auf einer Höhe zu bleiben, den Soto-Uke-Arm nicht zu bald zu drehen oder mit der Hüftbewegung zu arbeiten, wird tatsächlich einfach nie langweilig und man ertappte sich in Fumitoshi Kanazawa senseis Training immer wieder selbst dabei, dass man in vielem nachlässig geworden war. Die Video-Kamera alias Spiegelbild diente dabei als ungnädiger Wachtmeister und offenbarte jedem selbst die Karate-technischen Schwachstellen.

Während Fumitoshi Kanazawa sensei weiter diverse Kombinationen aus den verschiedensten Katas (Anm. Form) erläuterte, fragten sich bei vermutlich so einigen die Nachbar*innen draußen vorm Fenstern, wie in meinem Fall der Mann mit dem Hund, warum die Frau in dem weißen Pyjama (?) und schwarzem Gürtel zum wiederholten Male morgens um halb 10 „YMCA“ performte, oder ob die über dem Kopf zu einem O geformten Arme irgendeine neue Yoga-Pose darstellten. Verrückte Zeiten erfordern halt besondere Maßnahmen. (Anm. Wie die Emoticons 🙆‍♀️ oder 🙆‍♂️, nutzt Fumitoshi Kanazawa sensei diese Bewegung, um von den stummgeschaltenen Trainierenden ein OK zu der eben erklärten Technik zu bekommen.)

Auch immer wieder faszinierend, wie schnell man in seinen eigenen vier Wänden die Orientierung verlieren konnte. Von Zeit zu Zeit stand man also möglicherweise mit einer völlig anderen Technik da als Fumitoshi Kanazawa sensei, wobei es auch nicht immer ein Orientierungsproblem war, sondern manchmal auch einfach nur auf eine schlechten Internetverbindung zurückzuführen war.

Nach einer Stunde Grundschule begann mit einer sehr willkommenen Verspätung das Oberstufen-Training für Braun-und Schwarzgurte (Anm. Verspätung bedeutet Verlängerung der Trainingseinheit). Die folgenden Kumite-Schritt-Übungen (Anm. für Partnerübung zu nutzen) ließen das Karatedo-Herz höher schlagen, aber spätestens jetzt war jeder der unteren Nachbar*innen wach. Unweigerlich musste ich kurz an das Lied Das alte Haus von Rocky Docky denken. Egal, jede*r Nachbar*in musste da jetzt durch, schließlich hatte man nicht alle Tage japanischen Besuch in seinem Wohnzimmer. Sollte sich dennoch wer beschweren, hätte ich so immerhin die Möglichkeit die Bunkai-Übungen aus Gojushiho-dai (Anm. Anwendung einer Schwarzgurt-Kata) zu üben.

Traditionell schloss der Lehrgang mit ein paar Tsukis im Kiba Dachi (Anm. Fauststöße im stabilen Stand) ab, diesmal gleich in einer 3er-Kombination. Nach 2,5h lehrreichen und auch schweißtreibenden Übungen verabschiedeten wir uns aus den verschiedensten (Bundes-)Ländern und schalten unsere Bildschirme aus.

Vielen Dank für das Training, wie freuen uns auf ein nächstes mal! OSS! 🙆‍♀️ 🙆‍♂️